Zum künstlerischen Schaffen

Hat die Dichterin ein Anliegen, will sie ohne Umweg den Leser erreichen? - nein - einzig, es liegt an ihr, zuerst sich selbst zu erreichen, etwas zum Ausdruck zu bringen, das sie bewegt, dafür die Form, den Resonanzraum zu finden, in dem das, woran sie leidet, ja krankt, oder was sie mit Glück überhäuft, beschworen, benannt und zum Klingen gebracht wird – eine nur ihr adäquate Melodie, die markanten Tons einen Status erreicht, der unüberhörbar dann auch in das Ohr der Anderen gelangt, als hätten sie selbst gerade diese einzigartige Melodie geschaffen. Beispielsweise beim Gang in den Keller eine Angst zu vertreiben, oder im Garten im Feuer der Lilien sich des Grußes erinnernd, aus fernen Kindertagen, den des Vaters Josef Hopfgartner, der auch ein Dichter war, und nach dessen Worten noch heute die Kärntner Messe gesungen wird, oder der Schnitt im Finger, das leuchtende Blut im Neuschnee, das den Äpfeln gleicht, aufgereiht droben auf dem in der Sonne flammenden Kirschbaumschrank.

Hadwig Schindler zieht Bilanz, sowohl aus der Distanz eines erfüllten Lebens mit der Gleichmut gestillter Farben, aber auch dann wieder ganz nah am Geschehen.

Hineingeboren in die Abgeschiedenheit des Drautales am Fuße des „stara gora“, des alten Berges - „vor mir bist du gewesen / nach mir wirst du sein“, eine unbeschwerte Kindheit, wenn auch die Zeiten nicht leicht waren, und um sich die Natur als Widerspiel des eigenen Wesens. Dann, nach einem Schicksalsschlag, der Bruch, der Wechsel in die niederrheinische Landschaft, aus der jedoch die südliche Fernsicht nie in den Herbstnebeln des Stromes verlorengeht. Denn die Reisende führt Tagebuch, das eher einem Skizzenbuch gleicht, mit sicherem Stift geführt, der oft gezielt Härte neben Verletzlichem bestehen lässt und den darüber leise gesetzten Aquarelltönen eine schwebende Melodieführung entlockt.

Eine Aneinanderreihung von Einzeltönen wird man bei Hadwig Schindler vergeblich suchen, vielmehr trägt sie ein symphonischer Ansatz oder sie ihn. Man beachte die großen Zyklen - „Wildwechsel. Hexeneinmaleins, Thermenlinien, Blutäpfel, Wieviel Ringe, soviel Jahre, Ein Haus mit hundert Räumen“.

Wundersame Gleichungen, Sätzen ähnlich, streben sie dramaturgisch nach Ausgleich – aus Weichem das Harte und umgekehrt. Schwarz und Weiß, Granit und Schnee, der Strom im Norden und der Weißensee.

Vorwort zu den „Thermenlinien“
Wolfgang Reinke
Düsseldorf, im November 2008