Pfad am See

Einen Urwald könnte man ihn nennen, den Wald am hügeligen Ufersaum des Mecklenburger Sees. Riesige Eichen, alte Buchen, Eschen, Erlen, und so manche vom Sturm in den See gestürzten Bäume ragen aus dem Wasser wie urzeitliche Wesen.

Gern gehen wir den Pfad, der sich auf bereits ansteigendem Gelände zwischen Bäumen und Büschen am See entlang schlängelt. Zu allen Jahreszeiten ist er schön, jetzt im April beispielsweise, die meisten Bäume sind noch kahl, der Boden laubbedeckt, leuchten die Stämme manchmal hellblau über dem von der Abendsonne in Orangetönen gefärbten Laubuntergrund. Kolonien von Bucheckerschösslingen, kleine grüne Schirme, sprießen aus dem Boden, Waldmeister, Buschwindröschen, durch die sich der Pfad windet, und in den feuchten Senken zum See hin Sumpfdotterblumen und Brunnenkresse.

Dünn besiedelt ist die Gegend um den See, selten, daß einem jemand begegnet, ab und zu einmal ein Angler in einem Boot am See oder am gegenüberliegenden besser zugänglichen Ufer. Vogelgezwitscher, das Hämmern eines Spechtes, Flügelklatschen von Wasservögeln, ein ferner Kranichruf, sonst Stille, welche nur bei schönem Wetter des öfteren vom Knall der Düsenjäger der nicht allzu fernen Militärbasis durchbrochen wird.

Wie so oft freuen wir uns auch heute wieder den Weg zum See einzuschlagen, der nach kurzer Zeit in unseren Pfad mündet. Du gehst voraus, zu schmal ist der Pfad um nebeneinander gehen zu können , bleibst stehen, blickst irritiert zu Boden, zeigst mir den Abdruck eines Reifens und wie wir der weiteren sehn, mehrerer Reifen, der Breite nach Motorradreifen. Wir verfolgen die Reifenspuren auf der gesamten Länge des Pfades – Hindernisse wie Baumstämme, ein Dachsbau, Morast, die zu Fuß ohne Schwierigkeiten zu überwinden sind, werden breiträumig zwischen Bäumen und Büschen umfahren, an steilen Stellen sind die Fahrzeuge abgerutscht, wodurch  der alte Trampelpfad zerstört wurde. Du ärgerst dich, sagst, müssen die da jetzt auch schon durchdonnern, wobei das die sich auf gewisse Jugendliche aus der näheren Umgebung bezieht. Auch ich bin nicht gerade begeistert, versuche die jungen Leute aber ein bisschen in Schutz zu nehmen, sage, naja, denen gefällt es hier halt auch, die haben ihren Spaß an der Gegend eben auf ihre Weise. Du ärgerst dich, daß ich die auch noch verteidige.

Eines Tages, ich bin wie so oft nicht da, du bist alleine unterwegs, begegnest du ihnen. Du sprichst sie an, bittest sie, wie du mir erzählst, freundlich, hier nicht mehr zu fahren. Sie nicken, setzen den begonnenen Weg zwar noch fort, bleiben danach aber weg, worüber wir  uns wirklich freuen, bis eines Tages – Wochen, vielleicht sogar Monate sind inzwischen vergangen  - zwei im exakt gleichen Abstand verlaufende frische Spuren den Waldboden zu unseren Füßen entlang des Pfades aufgeworfen haben.

Die sind jetzt wohl von Motorrädern auf sogenannte Quads umgestiegen, sage ich. Du meinst, das seien nicht die selben, es gäbe diejenigen hier mit den Motorrädern, die mit den Quads kämen von anderswo her. Wieder ärgerst du dich über die nun weit schlimmeren Spuren der Verwüstung wie auch in mir kein Drang zur Verteidigung der Übeltäter mehr aufkommt.

Du suchst abgebrochene am Waldboden liegende Äste alle Größen und legst sie an vielen Stellen als Hindernisse quer über den Pfad. Tags darauf sind die kleineren vom Zentnergewicht der Fahrzeuge zerbrochen, die großen in noch weiteren Bögen durch den Wald umfahren. Du gibst nicht auf, legst neue Barrikaden aus.

Ich versuche mich in so einen Quad-Fahrer hineinzuversetzen, sage, das gefällt denen, ein wahres Hindernisrennen, je mehr Hindernisse, desto größer die Herausforderung, desto mehr Spaß! Du sagst nichts dazu, zerrst noch größere Äste aus dem Wald, aber deine Miene spricht Bände.

Die nächsten Wochen werde ich nicht hier sein, werde mir nur telefonisch von dir berichten lassen, was hier so geschieht und wie die Geschichte jetzt weitergeht, ja, das würden wir alle gerne wissen. Ich könnte mir für euch jetzt beispielsweise nach dem Muster der allabendlich im Fernsehen erscheinenden Krimis eine wilde Geschichte mit hinter Bäumen lauernden Menschen, Schlägern mit dicken Knüppeln, Verfolgungsjagden erst zu Fuß dann mit Autos, Schüssen, Bremsenquietschen usw. ausdenken, was Spannendes eben.

Da ich aber schon an den täglichen Zeitungsberichten vom Elend in der ganzen Welt, wobei ich mir wenigstens noch meine eigenen Bilder machen kann, nicht ungeschoren vorbeikomme, schütze ich mich vor Bildern von Verbrechen, Blut und Tod, echt oder ausgedacht, wo auch immer, soweit es mir eben möglich ist, habe folglich auch nicht die geringste Lust, mir dergleichen gar noch auszudenken.

Jetzt, da ich das schreibe, fällt mir der Spruch meiner Mutter, wenn es um den Besuch eines meist zeitgenössischen Theaterstückes mit tragischem Inhalt, genauer gesagt, Dramas ging, wieder ein. Sie sagte dann nämlich stets, so viel Schreckliches, das ich selbst schon erlebt habe, das reicht, da schau ich mir doch nicht auch noch so etwas an, was ich damals ganz und gar unmöglich fand. Heute, selbst schon in den Jahren, kann ich sie verstehen.

Über die Erinnerung ganz vom Pfad abgekommen, vom Pfad am See, sehe ich es schon euren Gesichtern an, ihr seid enttäuscht, daß die Geschichte gerade  jetzt, wo sie eben den Anschein hatte, spannend zu werden, zu Ende ist. Wie langweilig, denkt ihr! Naja, sage ich, kleiner Kompromiss, ich biete euch noch meine Wunsch-Version einer Fortsetzung an, die sich etwa so anhört :

Der von mir allein gelassene Mann geht in der Hoffnung, den Bengeln, wie er sie nennt, zu begegnen, jetzt öfter als gewöhnlich den Pfad am See entlang, horcht tagelang angespannten Ohrs aus seinem Fenster,  bis eines Sonntag nachmittags die bestimmten Motorgeräusche vom See her dröhnen, er schnell seine Schuhe anzieht, dem Geräusch Richtung See folgt, und – ob ihr es glaubt, oder nicht – sich heldenhaft- mein Mann der Held, das gefällt mir-  zwei hintereinanderher fahrenden Quads, die ihm entgegenkommen, als Hindernis in den Weg stellt. Kurz vor ihm bremsen sie, bleiben stehen ,mit versteinerten Mienen schauen sie ihn an. Seinen Ärger überwindend gelingt ihm ein  leichtes Lächeln. Entspannt geht er auf sie zu, zwei junge Burschen sind es, grüßt sie, sagt, jetzt bin ich aber froh, daß ich euch einmal treffe, längst schon wollte ich euch nämlich bitten, nicht mehr diesen Steig hier am See entlang zu fahren, er ist ja für Motorfahrzeuge ganz und gar nicht geeignet und wird durch diese zerstört. Ich kann mir ja vorstellen, daß es euch Spaß macht, dieses Hindernisrennen,  aber seht nur, es gibt hier so viele Wege durch die Wälder, die ihr ohne weiters und ohne Schaden anzurichten fahren könnt. Ich und alle die Menschen, Tiere und Pflanzen, welche die Ruhe an diesem Seeufer genießen, würden es euch danken. Denkt einmal darüber nach und nichts für Ungut.

Schon während er mit ihnen spricht, merkte er, wie sich ihre Gesichtszüge entspannen, sich ihre Mienen aufhellen, sie dann zögernd zwar, zustimmend nicken, nach beiderseitig freundlichem Tschüß die Motoren wieder aufheulen lassen, sich auch vom Pfad am See verabschieden und zum letzten mal in Richtung Straße davondonnern.  

Er schaut ihnen nach bis sie nicht mehr zu sehen sind und das Dröhnen der Motoren allmählich in der Ferne verklingt.

Ich blicke vom Text auf, sage. wie ja nicht anders zu erwarten war, konnte eine derart harmlose Schluss -Version keinen vom Hocker reißen, ich gestehe meine Niederlage ein, kann euch höchstens noch ein, wenn auch für einen Schriftsteller fragwürdiges Angebot machen : wie wäre es, wenn ihr euch einen Schluss nach eigener Lust und Laune ausdenken würdet, was wirklich aufregendes, so wie es euch gefallen könnte? Ihr mailt mir eure Versionen zu, von denen dann nach dem Muster der beliebten Fernseh-Shows, diejenige welche die meisten Stimmen bekommt, den Sieg davonträgt. Dann haben wir ihn, ganz demokratisch und hoffentlich zu allgemeiner Zufriedenheit: den Super-Schluss.
Das Beste ist, was den meisten gefällt. Ist doch so!
Oder?
Macht ihr mit?