Vorwort

König Salomos Ring

 

lautet die wörtliche Übersetzung des Titels von Konrad Lorenz’ bekanntem Werk über Verhaltensforschung. Diese Lektüre war Beginn einer Freundschaft zwischen dem Wissenschaftler und dem Dichter Carl Zuckmayer, der, anläßlich des 70. Geburtstags des Freundes im Jahre 1973, die vielbeachtete Rede „Poesie und Naturwissenschaft“ hielt, deren Inhalt nun, 30 Jahre später, mir wiederum Anlaß gibt, einen Bogen zu schlagen zum fotografischen Werk Hadwig Schindlers.

Hyponomeutidae – so der zunächst etwas geheimnisvoll klingende Titel der Ausstellung und des gleichnamigen Buches – gehört zu den gelungensten Versuchen, den gemeinsamen Ursprung wissenschaftlichen Denkens und künstlerischer Intuition aufzuzeigen, darzustellen: für Zuckmayer ist Darstellung ebenso Teil der Grundbegriffe “der Kunst wie der Wissenschaft, (...) doch ist Darstellung in der Kunst stets auf das Gleichnis gerichtet, Darstellung in der Wissenschaft stets auf die Gleichung. (...) In einem jedoch sind sich Gleichung und Gleichnis, die Extreme geistiger Sinndeutung, brüderlich oder schwesterlich verwandt: beide schöpfen immer nur aus dem Sinnfälligen. Es gibt keine Poesie, es gibt keine Forschung, es gibt auch kein abstraktes, begriffliches Denken, wenn es sich nicht aus dem sinnlich Wahrnehmbaren zur Vorstellung erhebt. Das gilt selbst für das, was man abstrakte Kunst nennt. Sie hat zutiefst immer sinnfällige Vorbilder zum Gegenstand, auch wenn es die der Kristallisation oder der molekularen Streuung wären, und zuletzt sind noch Farbe, plastisches Material oder Federstrich gegenständlich. Von Paul Klee, den man gewiß nicht des Naturalismus verdächtigen kann, stammt das Wort: “Die Natur und nur die Natur und nichts als die Natur ist des bildenden Künstlers Modell – ob er es weiß oder nicht.“

Und sie, Hadwig Schindler, weiß es, ist sich dessen genau bewußt, wenn sie mit offenen Sinnen sich entweder des Wortes bedient (auf ihre Gedichte in den Bänden “Platanenwelten“ und  „Rot wie“ sei an dieser Stelle ebenfalls hingewiesen), oder, durchs Schiefbahner Bruch streifend., in ihrem neusten Projekt, Erscheinungen der Natur über das stofflich existierende heraushebt, um aus der neu gewonnenen Perspektive uns den Ursprung eines – des Schöpfungsprinzips vor Augen zu halten, wie es Teilhard de Chardin in dem einfachen Satz zum Ausdruck brachte: “Créer c’est unir.“ –
Erschaffen heißt Einen.

Wolfgang Reinke
Düsseldorf, den 31.12.2003

 

Eben hier

wo zwischen Holunder und Stacheldraht
erneut der Winter Einzug hält
sucht dein Auge
die Libelle stets in der Waage sichernd
Verbindung von Zufall und Zitat

erhellt der Blitz
die seidenen Rauten der Maschen
perspektivisch verkürzt
im Gewand florentinischer Schulen
doch der Farbe entzogen

ein später Versuch Savonarolas
tausendfach hängt er an seidenen Fäden
der Wiedergeburt harrend
traumlos mit grünendem Blick.

Wolfgang Reinke
Düsseldorf, den 24.05.2002